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von Claudia Wedeleit
Latin Quarter mit neuer CD auf Deutschland Tour. Mit neuen Liedern und einer neuen Band versuchen Steve Skaith und Richard Wright wieder den Anschluß zu finden. Claudia Wedeleit unterhielt sich mit Sänger und Autor STEVE SKAITH.
Saarbrücken, 19.11.93:
Nach der Auflösung von LATIN QUARTER 1990 war es nur eine Frage der Zeit bis der Gründungskern Steve Skaith, Richard Wright und Lyriker Mike Jones mit einem neuen Projekt aufwarten. 1993 war es dann soweit: mit dem Album „Long Pig“ legt die neuformierte Band ein weiteres Meisterwerk vor. Komponist und Arrangeur Skaith hat mit der Hinzunahme von Geige und Akkordeon seiner Musik einen weiteren unwiderstehlichen Reiz gegeben und die Lyrics von Mike Jones haben ihre Qualität gehalten. Für GOOD TIMES erzählte Skaith über seine Band und seine Musik.
CLAUDIA: Euer erstes Album „Modern Times“ wurde von der Plattenfirma als „das Popalbum des denkenden Menschen“ angepriesen. Später hatte es den Anschein, daß ihr einen sparsameren, gitarrenorientierteren Sound entwickeln wolltet. Gleichzeitig übernahmst Du mehr Leadvocals. Hattet ihr die Bef ürchtung, daß Eure harmonisch-melodiös klingenden Botschaften vom Publikum ignoriert werden könnten?
STEVE: Nein, nicht wirklich. Ich meine trotz des Erfolges in Deutschland mit dem ersten Album, war es im Allgemeinen kein erfolgreiches Projekt gewesen. Und wir hatten auch das Gefühl, daß es zu uneinheitlich war. Es war nicht klar wer Latin Quarter mit drei Leadsängern war. Für Live-Auftritte war das gut. Doch auf Platten brauchen Bands einen Sound, so wie R.E.M. einen Sound haben oder THE CURE. Und besonders auf SWIMMING AGAINST THE STREAM versuchten wir einen Sound zu entwickeln mit dem wir uns wohler fühlten, der einheitlicher war. Ich denke, daß das Problem auf die Anfänge der Band zurück geht, daß wir nicht auf natürliche Art zusammengestellt wurden. Es waren zu viele unterschiedliche musikalische Auffassungen vorhanden, es paßte nicht 100%ig zusammen. Ich glaube, daß wir jetzt (mit dem neuen Album) zum ersten Mal eine zentrale Idee haben, um die alles organisiert ist.
CLAUDIA: Nach meiner Ansicht zeichnet Ihr oft in Euren Songtexten Schwarz-Weiß-Bilder auf eine sehr subtile Art (z.B. die „gute“ 3. Welt und die „schlechte“ 1. Welt). Ist es wirklich so einfach? Und wie sieht es mit dem Sozialismus nach dem Kollaps des Kommunismus in Europa aus?
STEVE: Danke für diese einfachen Fragen (lacht)! Es ist offensichtlich nicht einfach. Ich denke nicht, daß auf dem Album der Versuch gemacht wird Themen wie z. B. schwarze Politiker anzugehen. Das ist kein Manifest, das sind Songs. Und die Songs sind voller Eindrücke, Gefühle und Ideen, die irgendwie am Ende ein schreckliches Bild entstehen lassen doch es ist kein deutliches Manifest. Es ist ein Thema, das immer wiederkehrt, das stimmt. Doch wir wählen die Songs für ein Album nicht aus textlichen sondern aus musikalischen Gründen. Wir denken nie ‚Wir müssen diesen Song unbedingt wegen des Textes auf das Album bringen‘. Aber natürlich bringen die Texte am Ende ein Bild hervor und dieses ist fast eines der Verzweiflung kontra Optimismus. Und das beantwortet deine Frage, ich meine, was ist möglich? Ist Humanität in der Lage jetzt etwas zu tun? Ist sie in der Lage ein Utopia zu bilden, ist sie in der Lage sich zu verbessern? In Europa haben wir die Situation in Jugoslawien. Und trotzdem fühle ich mich nicht verzweifelt. Ich will nicht an den Menschen verzweifeln.
CLAUDIA: Doch manchmal scheint es so, wenn ich mir die Texte anhöre. Und in „It Makes My Heart Stop Speaking“ von ’89 singt ihr, daß „ihr Hymnen für das Volk schreiben wolltet“, doch daß zu guter Letzt Eure Botschaften unbemerkt verhallten.
STEVE: Es gibt keinen Zweifel, daß ich Mike Jones für eine interessante Persönlichkeit halte, denn so wie er im Leben ist, so denkt er auch über die Welt. Wenn man ihn auf die Probe stellt, wenn man ihn bedrängt und fragt was er denkt, dann bekommt man Verzweiflung und Pessimismus zu hören. Doch wenn man ihn wirklich kennt, dann ist er eigentlich sehr humorvoll, sehr lustig, sehr geistvoll und das ist der Konflikt. Selbst bei einem Text wie „It Makes My Heart Stop Speaking“ bekommt man am Ende eine Melodie zustande, die wirklich stark und so kraftvoll ist, daß man sich fragen kann, wo ist da Verzweiflung? Oder nimm „Like A Miracle“, das wieder auf die zynischste Art beginnt; der Text ist ausgezeichnet; „Der Wein, den du verschüttest;, das Brot, das du stiehlst… Es ist ein Wunder von der Krippe zum Schlachthaus“. Doch wenn du dich auf die Musik und die Gospelsänger konzentrierst, wird alles anders. Du hast zwei Dinge: Die Verzweiflung und die Freude, die Ohnmacht und die Lebensenergie. Das mag ich an dem Album. „Come Down And Pray“, ist mein Lieblingstext, der besagt: „Ich gebe auf. Ich gebe es auf die Welt zu verstehen, ich gebe den Sozialismus auf, ich gebe auf…“ Und doch ist so viel Humor im Text.
CLAUDIA: „Come Down To Pray“ ist das das letzte…
STEVE: Ja, so weit sind wir gekommen. Es ist ein Witz. Aber wie alle Witze hat es einen wahren Kern. Die Hauptaussage des Songs ist humorvoll zu verstehen. Er (der Sänger) verwendet all diese lustigen Vorstellungen wie Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die zu dem Schluß kommen, daß man das Denken besser den Vögeln überlassen sollte. Das würde heißen das Denken aufzugeben. Doch der dritte Vers enthält die Schlüsselzeile „es gibt eine schwache Hoffnung an die wir uns klammern, daß die Schlechtesten von uns bezahlen werden.“ Mit anderen Worten, daß es irgendwie eine Moral gibt, irgendwie Leute, die schuldig sind anderen Leuten gegenüber Übles begangen zu haben irgendwie… es wird eine Moral geben, die sich mit ihnen befaßt.
CLAUDIA: Cloud Nine scheint eine deutsche Firma zu sein. Hattet ihr in all den Jahren in Deutschland mehr Erfolg als in England? Wenn ja – was mögen nach Deiner Meinung die Gründe sein?
STEVE: Nicht immer aber sicher seit 1986. Es ist sehr schwer in England… Warum wir mehr Erfolg in Deutschland hatten, kann ich nicht genau sagen. Doch teilweise deshalb weil wir anfangs sehr uneinheitlich waren. In England wurden unsere ersten drei Singles von drei verschiedenen Leuten gesungen. Aus sehr einleuchtenden Gründen wußten die Leute nie wer wir waren. Sie glaubten wir seien drei verschiedene Bands: „New Millionaires“, „Radio Africa“ und „Toulouse“ waren ganz unterschiedliche Songs. Doch England wird auch sehr von Trends und Images beherrscht. Und ich denke, daß wir kein ausreichend starkes Image hatten, um die Aufmerksamkeit der englischen Presse zu erregen. MODERN TIMES erhielt gute Kritiken, „Radio Africa“ war ein Hit – aber wir hielten uns immer irgendwie ausserhalb auf. Wir wurden nie zu einer Band von der die Leute dachten, daß sie eine wichtige Rockband für die britische Kultur sei. Es passierte einfach nicht für uns.
© GOOD TIMES, AUSGABE NR. 10, MÄRZ 1994.