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„Was macht das Weiße Haus weiß? Ist es Kreide? Nebel? Oder Angst? Bleiben sie die Nacht auf und schicken jemanden Bier holen? Muß Bonzo jetzt ins Bett?“ (aus „America For Beginners“).
Bonzo ist ein Schimpanse. Ein Film-Komparse, der 1951 an der Seite des wohl berühmtesten Kino-Schurken und heutigen Polit-Ganoven der Vereinigten Staaten von Amerika vor der Kamera herumalberte. Sein damaliger Herr ist heute Hausherr jenes Weißen Hauses in Washington: Ronald Reagan. Ronnie ist jene Filmszene mit dem Schimpansen heute sicher nicht mehr derart angenehm. Mike Jones aus Liverpool hingegen erinnert sich gerne und mit faustdicker Ironie an jenes Affentheater. So ließ er es sich nicht nehmen, diese Impression in seinen engagierten Polit-Text zu der Musik von Steve Skaith einzubinden. Ronald Reagan mögen beide nicht.
Mike und Steve sind Mitglieder der englischen Popband Latin Quarter. Vor etwa drei Jahren fingen sie an, gemeinsam Musik zu kreieren. Mike Jones, ex-Fachhochschullehrer, schrieb die Worte. Keine Herz-Schmerz-Brocken, sondern engagierte Gedanken und Aussagen mit gezielter politischer Richtung. Steve Skaith, damals noch als Lohnschreiber beim Chappel-Musikverlag in London tätig, komponierte auf diese Texte die passende Musik. Er war froh, endlich für sich etwas Musikalisches verfassen zu können, und nicht, wie die Jahre zuvor, sich als Notenlieferant für Manilow&Co. prostituieren zu müssen. „Wir fingen einfach irgendwie an zu schreiben“, erinnert sich der hochgewachsene Engländer beim Interview im Hamburger Musikerhotel „After Midnight“. „Wir wußten nicht, wo es hinging, aber es war klar, daß diese Songs nichts für Barry Manilow waren.“ Emsig sammelte das Duo selbstkomponierte Songs auf Demo-Band und machten die Runde durch die Plattenfirmen. Zunächst ohne Erfolg. Erst nachdem man eine Band gegründet hatte und die übliche Ochsentour durch die Clubs startete, fanden sich die Talent-Scouts der Record Companies ein. Plötzlich war der Plattenvertrag kein Problem mehr.
Erlebt man die siebenköpfige Band Latin Quarter live auf der Bühne, wie Anfang September bei ihrem dreitägigen Gastspiel im Hamburger „Onkel Pö“, so versteht man den Zugriff der Platten-Manager. Die fünf weißen und zwei schwarzen Musiker vermitteln eine Energie und Spielfreude, die man nicht allertage findet. Ihr individueller Mix aus Reggae, Rock, Funk und Pop ist pures musikalisches Elixier. Hier strömen die unterschiedlichen Gruppenerfahrungen der einzelnen Mitglieder – Linton Kwesi Johnson Band, Annabel Lamb Band – zu einer impulsiven Synthese zusammen. Mike Jones steht nicht mit auf der Bühne. Er ist das achte, einzig als Texter aktive Mitglied von Latin Quarter.
Seine Arbeit ist nicht minder bedeutend, im Gegenteil. Mit ungeheurer Sensibilität und wachem Verstand pickt er brisante zeitgenössische Themen aus dem Dschungel menschlichen Daseins und vertextet sie zu mächtigen Aussagen. Fußballkrieg, Apartheid, Nicaragua, französischer Metallarbeiterstreik, Falkland-Desaster, Nelson Mandela, John Lennon und Ronald Reagan – seine Augen und Ohren sind ständig auf Empfang, seine Feder ist scharf wie ein Samurai-Schwert. Keineswegs koppelt sich der versierte Zeilen-Aktivist aber an irgendeinen Trend oder versucht aus aktuellem Polit-Stoff bare Münze zu machen. Einen Song wie „Radio Africa“ über „das Monster Apartheid“ verfaßte er bereits 1983, also 2 Jahre vor der augenblicklich eskalierenden Grausamkeit in Südafrika. Auch „No Ordinary Return“, eine bittere Melodie über einen gestrandeten, verzweifelten Fußballfan, schrieb er vor zwanzig Monaten. Also vor der blutigen Liverpool-Turin-Schlacht in Brüssel.
„Wir machen solche engagierte Musik nicht, um den Leuten etwas vorzupredigen“, wehrt der ehemalige Drucker Steve Skaith vehement jegliche Propaganda-Vorwürfe ab. „Wir wollen tolle Songs schreiben mit einer Musik, die voller Emotionen steckt. Freude, Ängste, Traurigkeit, Ärger, Frust, Ekstase – all das packen wir rein. Und die Texte, die politisch gefärbt sind, müssen sehr gut sein. Man muß die Worte respektieren. Mike schreibt nicht nur mit einer klaren Aussage, sondern auch mit einem präzisen Stil. Er spielt mit den Worten, um die Aussage mit scharfen Konturen zu versehen. Natürlich wollen wir nicht irgendeine neue Polit-Band sein. Wir schreiben nicht für bestimmte Gruppen oder Parteien. Wir wollen jeden etwas für die Probleme interessieren, die die ganze Menschheit angehen. Ich sehe mich aber nicht als Prediger oder als Propagandist.“
In einem Song wie „Sandinista“, leider nicht auf dem glänzenden Debüt-Album „Modern Times“ zu finden, sondern nur Teil des Live-Programms, attackieren Latin Quarter dennoch in massiver Propaganda-Weise. „Stimmt“, versichert Steve Skaith, „hier will ich ruhig als Propagandist auftreten. Die Probleme in Nicaragua und in ganz Mittel- und Südamerika sprechen mich derart gefühlsmäßig an, daß ich meine Wut rausbringen muß. Mein Haß muß die Feinde treffen. Einer von ihnen sitzt im Weißen Haus.“ Bonzos Herrchen. „Ihm muß ich zuschreien: Stop this!!!“, kommt Steve plötzlich emotionell in Fahrt.
„Das Sternenbanner weht überall. Männer in schwarzen Anzügen fahren in unauffälligen Autos. In Dritte-Welt-Kneipen schlürfen sie ihre Jack Daniels. Sie sitzen am Rande des Abgrundes“ (aus „America For Beginners“).
Der pulsierende Groove des Reggae erscheint Melodien-Schmied Steve Skaith das beste Transportmittel für die kritischen Worte. Im Konzert bestätigte sich diese Rhythmuswahl umso mehr. Die Resonanz der versammelten Hamburger war überaus euphorisch. Und Drummer Richard Stevens, „einer der besten Reggae-Schlagzeuger in London“ (Steve Skaith), legte sich mächtig ins Zeug und trommelte seine Vorderleute immer wieder nach vorne. Hier hörte man seine Erfahrungen aus der Linton Kwesi Johnson Band. Auch Linton Kwesi agiert mit politischer Wort-Power. Reggae gegen Reagan.<.p>
WILLI ANDRESEN; Fachblatt FOCUS 1985